Interview mit TALCO
 

Interview mit TALCO

 

Am 18.02.2012, kurz vor ihrem zweiten Auftritt im S.O. 36 in Berlin-Kreuzberg, hatte ich die Gelegenheit bekommen, mit TALCO ein Interview zu führen. Sänger Dema und Trompeter Turborizia nahmen sich freundlicherweise die Zeit, mir ein paar Fragen zu beantworten.

 

Frank:           Wie war die Tour bisher?

Turborizia:    Sie war sehr gut, aber es war auch eine harte Tour. Wenn du jeden Abend in einem vollen Club spielst, bist du auf der Bühne immer voll konzentriert und willst dein bestes geben und das jeden Abend. Insgesamt sind wir alle etwas müde, aber sehr glücklich und zufrieden.

Dema:            Wir haben bisher zwei Mal in Köln und zwei Mal in Hamburg gespielt. In Hamburg haben wir uns auch das Heimspiel von St. Pauli angesehen. In Berlin ist es nun unser drittes Mal wo wir zwei Mal hintereinander in einem Club spielen.

 

F:         Ihr habt gerade gesagt, dass es anstrengend ist jeden Tag auf der Bühne zu stehen, aber es sieht für den Zuschauer so locker und voller Energie aus. Wie schafft Ihr das?

D:         Zur Mitte der Tour waren wir alle ziemlich müde und einige von uns sind auch krank geworden. Aber wenn du auf die Bühne gehst, und siehst, dass der Club voll ist und die Leute zusammen Spaß haben, fällt all das von dir ab.

T:         Es freut uns, dass es so locker aussieht. Wenn wir dann aber von der Bühne gehen, sind wir richtig fertig.

 

F:         Habt Ihr eine besondere Beziehung zu Berlin?

D:         Manchmal, wenn wir hier spielen, stellen wir uns auf der Bühne als TALCO aus Berlin vor. Ich erinnere mich noch an unseren ersten Gig hier in Berlin beim Punkitalia - Festival in 2005. Uns kannte niemand zu der Zeit. Wenn wir jetzt über das beste Konzert der Band nachdenken, fällt uns immer wieder dieser Auftritt ein. Seit diesem Konzert geht es für uns nur noch aufwärts. Seit diesem Konzert steigt unsere Bekanntheit in Deutschland unaufhörlich. Berlin ist für uns ganz klar ein Zentrum. Unser Plattenlabel ist aus Berlin. Unser Management ist aus Berlin. In Berlin haben wir viele Fans und wir fühlen uns hier sehr wohl. Berlin ist für uns wie ein zweites Zuhause.

 

F:         Ihr spielt zwei Konzerte hintereinander in Berlin, habt schon zwei Konzerte hintereinander in Köln und Hamburg gespielt. Wie fühlt Ihr euch dabei, zwei Mal im gleichen Club zu spielen? 

D:         Es ist ein bisschen seltsam. Wir haben niemals damit gerechnet, dass beide Konzerte gut besucht werden, aber es funktioniert. Es ist seltsam, zwei Mal hintereinander im gleichen Club zu spielen und damit auch richtig viele Leute zu erreichen. Es ist eine tolle Erfahrung für uns. 

T:         Wenn du jeden Abend in einem anderen Club spielst, kannst du jeden Abend dasselbe spielen. Wenn du aber an zwei Tagen im gleichen Club spielst musst du auch deine Setliste ändern.

 D:         Wir können den Leuten nicht jeden Tag haargenau das gleiche bieten.

 T:         Es wäre auch nicht fair, weil es einige Leute gibt, die an beiden Tagen hinkommen und diese Leute wären dann zu Recht enttäuscht.

 

F:         Wie kommt euer aktuelles Album “La Cretina Comedia“ an?

 D:         Die “La Cretina Comedia“ ist seit einem Jahr draußen. Für diese Platte hatten wir die bisher größte und beste Promotion gehabt. Dazu ist der Vertrieb sehr gut. Dadurch haben wir an Bekanntheit gewonnen. Es ist ein weiterer großer Schritt für uns. Im Jahr 2011, als die “La Cretina Comedia“ raus kam haben wir auf vielen Festivals gespielt, u.a. mit Bands wie “Bullet for my Valentine“ oder “Rise Against“. Wir haben in 2011 angefangen mit den etablierten Bands im Mainstream zu spielen. Das war seltsam für uns, aber die Reaktionen auf unsere Auftritte waren allesamt gut. Diese Auftritte waren für uns nur aufgrund der guten Arbeit von Destiny und natürlich aufgrund des Albums “La Cretina Comedia“ möglich, welches überall gut ankam.

 

F:         Was sind eure Erwartungen an die neue Regierung in Italien?

D:         Ich weiß es nicht genau. Wir haben 18 Jahre Berlusconi hinter uns, davor waren 40 Jahre die Christdemokraten an der Regierung. Wir haben seit sehr langer Zeit Korruption. Die Regierung beschäftigt sich nicht mit den Menschen für die sie da sein sollte. Das italienische Volk ist müde. Wir schätzen das Volk eher so ein, das bei den nächsten Wahlen Parteien aus dem rechten Lager gewinnen werden.

 

F:         Denkt Ihr, dass die linken Parteien eine Chance haben?

D:         Nein. Wir haben keine große linke Partei die ein Gegengewicht zu den rechten Parteien darstellen kann. Die demokratische Linke wächst zwar, aber eher aus Mitgliedern anderer Parteien. Die demokratische Linke besteht größtenteils aus alten Kommunisten und christlichen Demokraten. Wir haben keine Idee wie die ganzen linken Strömungen zusammenzubringen sind um ein Gegengewicht zu den rechten Parteien zu bilden.

Nehmen wir als Beispiel die Homosexualität. Die Kommunisten haben kein Problem mit einer Ehe von homosexuellen Paaren. Die christlichen Demokraten werden eine Ehe von homosexuellen Paaren nie akzeptieren können, aufgrund ihrer christlichen Einstellung und dem Einfluss des Vatikans.

 

F:         Können die radikalen Rechten mit Stimmenzuwächsen rechnen?

D:         Nein, nur die liberalen Rechten. Die sind ähnlich einzustufen wie die CDU mit Merkel hier in Deutschland. Es ist nicht mein Wunsch, dass die an die Macht kommen, aber ich persönlich bin so müde von 18 Jahren Berlusconi, dass selbst die Partei mir Recht ist. Schlimmer kann es kaum noch werden.

 

F:         Wie groß ist noch der Einfluss von Berlusconi?

D:         Die Regierung untersteht dem Parlament und dort sitzen viele Abgeordnete der Partei von Berlusconi. So besteht noch viel Einfluss und er wird auch nicht weniger. Bevor Berlusconi in die Politik ging hatte er ein großes Medienimperium aufgebaut, welches immer noch besteht. Berlusconi und seine Leute beeinflussen die Menschen durch die Medien, durch ein Vorgeben eines bestimmten Denk -und Blickwinkels. Seine Medien und er selber vermitteln ein gewisses Gesellschaftsdenken, was schlimm ist, wenn man Frauen z.B. nur im Bikini in Fernsehshows auftreten lässt. Berlusconis Art zu denken und die Leute zu beeinflussen ist meiner Meinung nach eine moderne Form des Faschismus. Es gibt vieles was an Faschismus erinnert. Die Arroganz, das Ignorieren von anderen Ideen und er beeinflusst die Kultur. Er beeinflusst auch den Bildungssektor, schon die Kinder im Kindergarten, in der Schule werden in dem von Berlusconi gewünschten Sinne geprägt.

Er beeinflusst die Menschen durch die Bildung. So schafft er eine bestimmte Mentalität, die seinen Vorstellungen entspricht und die Leute reagieren so, wie er es will. Sie laufen alle nur noch in eine Richtung.

 

F:         Lasst uns über Venedig reden, eure Heimatstadt. Geht die Gentrifizierung in Venedig so weiter wie in den letzten Jahren oder gibt es Veränderungen?

D:         Daran hat sich nichts geändert. Aber Venedig ist doch eine echt seltsame Stadt, alles ist nur per Fuß oder per Schiff zu erreichen. Es ist komisch, dass die Verdrängung ungehindert weiter geht, dabei ist Venedig eine Universitätsstadt. Die normalen Wohnhäuser und Wohnungen in Venedig sind total klein, weil es einfach keinen Platz gibt, und die Wohnungen kosten unglaublich viel, selbst kleinste Wohnungen, die kaum größer als 15qm sind.

T:         Venedig ist die Touristenstadt in Italien überhaupt.

 

F:         Was denkt Ihr über die vielen Touristen die jedes Jahr Venedig besuchen?

T:         Venedig als Stadt ist schön. Die Stadt ist nicht das Problem.

D:         Venedig ist eine Insel und die Bewohner benehmen sich wie Inselbewohner und die sind immer etwas komisch.

T:         Es ist doch immer so. Da wo viele Touristen hingehen, geht es den Leuten und den Gemeinden gut, dadurch steigen aber auch die Lebenshaltungskosten für die Einwohner und zwar nicht im gleichen Maße wie die Löhne steigen.

D:         Nordostitalien, wozu auch Venedig gehört, wurde von der Wirtschaftskrise nicht so hart getroffen wie z.B. der Süden von Italien. Das ist ein großes Problem, wenn ein Gebiet eines Landes reicher ist als ein anderes Gebiet. In Norditalien gibt es die “Lega Nord“, das ist eine rechte Partei die für die Abspaltung von Norditalien ist, um so den armen Süden nicht unterstützen zu müssen. Die Mafia hat ihre Wurzeln in Süditalien, weil der Süden arm ist. In armen Gebieten mit hoher Arbeitslosigkeit und wenig Hoffnung ist es einfach, den Gedanken der Mafia den Leuten einzupflanzen. Es ist der Nährboden für die Mafia und Nährboden für Terrorismus. Insgesamt ist aber die Mentalität in ganz Italien ähnlich.

T:         Die Politik und die Mafia sind eng miteinander verstrickt.

 

F:         Ist es eine Art “Lifestyle“?

T + D:   Ja, absolut.

 

F:         Was denkt Ihr über die arabische Revolution?

D:         Das ist eine schwierige Frage, weil es schwierig ist die Situation dort richtig einzuschätzen. Ich freue mich, wenn die Bevölkerung dort aufsteht sich gegen Leute wie Assad oder Gaddafi auflehnt. Aber die Frage ist, wohin wollen die Leute gehen? Als Beispiel nehmen wir mal Ägypten oder Syrien. Dort gibt es viele Studenten die auf die Straße gegangen sind oder Twitter genutzt haben um ihre Meinung und die Situation in der sie sind, zu kommunizieren. Das ist ein wichtiger Punkt. Es ist das erste Mal, dass die Religion nicht die Vormacht auf der Straße hat. Das ist sehr wichtig. Ich denke, dass es sehr schlecht ist, wenn Religion und Regierung zusammen verquickt sind. Ich kann die tiefe Gläubigkeit nicht nachvollziehen, aber Religion und Macht kann zu Fundamentalismus führen und das ist schlecht. Dabei sehe ich nicht nur den moslemischen Glauben. Jede Art von fundamentalistischem Religionsverständnis ist zu verurteilen.

 

T:         Die Leute die die Regierungen verjagt haben, brauchen eine Führungspersönlichkeit, die ihre Interessen vertritt, damit sich wirklich was ändert. Es muss vor allem freie, faire Wahlen geben.

D:         Das demokratische Denken, die Einstellung zum demokratischen Denken muss eine Chance bekommen.

 

F:         Meint Ihr, dass es ein Land geben wird, wo die Leute die die Revolution in Gang gebracht haben, sich tatsächlich als Gewinner fühlen werden?

D:         Ich weiß es nicht. Ist eine sehr schwierige Frage, weil wir Europäer eine andere Kultur haben als die Menschen in Syrien, Libyen oder Ägypten. Es ist wichtig, dass wir diese Kulturunterschiede respektieren. Wenn die Leute dort weniger Einfluss der Religion haben möchten, ist das in Ordnung, aber es darf nie mit Zwang von einer Regierung ausgeübt werden. Ich bin nicht gegen die Religion an sich. Ich bin gegen die Institutionen der Religion. Im Katholizismus ist jeder Mensch der nicht an Gott glaubt ein schlechter Mensch. Das ist Quatsch. Jeder Mensch soll so leben können wie er möchte und wenn er an Gott glaube möchte, dann kann er das gerne tun, aber für sich selber. Damit andere Menschen, die nicht so leben möchten einzuschränken oder sie zu verurteilen, lehne ich ab. Im islamischen Glauben ist das alles viel schwieriger als im christlichen Glauben. Da gibt es so viele unterschiedliche Strömungen. Jeder interpretiert den Glauben für sich anders und sieht seine Interpretation als die richtige an. Daraus entstehen radikale, fundamentalistische Gruppen die die Freiheit Andersdenkender einschränken.

 

F:         Warum wird eine Revolution nach arabischem Vorbild in der EU nicht funktionieren?

D:         Ich weiß nicht, ob so eine Revolution generell nicht bei uns funktionieren wird. Ich denke aber das die Krise uns zu etwas bringt. Hoffentlich führt sie nicht in die Radikalität. Krisen fördern so etwas. Faschismus und totalitäre Regierungsideen bekommen in Krisenzeiten zu Lauf. Jemand wie Hitler hat den Faschismus populär gemacht und ihn seinerzeit so in die Mitte der Gesellschaft gebracht, dass er an die Macht kam. Das gilt es unter allen Umständen zu verhindern. Es gibt viele Leute die Angst haben, doch diese Angst wird bewusst geschürt. Sie haben Angst vor Ausländern, weil sie denken sie verlieren ihren Job, ihren Wohlstand. Die linken Parteien haben keine Antworten auf die Krise. Das verschärft das Problem noch, das rechte Ideologien populärer werden. Das ist sehr gefährlich. Wir sehen es im Internet oder im Fernsehen, viele Menschen auf der ganzen Welt sind enttäuscht vom Kapitalismus. Kapitalismus baut auf Ungerechtigkeit auf. Kapitalismus funktioniert nur, wenn einige Menschen reich und viele Menschen arm sind. Mittlerweile sind wir fast alle arm.

 

F:         Was denkt Ihr über den Umgang von Italien mit den Flüchtlingen aus Afrika?

D:         Wir haben seit Jahren eine rechte Regierung, die in diesen Fragen auch faschistoide, nationalistische Züge annimmt. Die linken Parteien sind für eine kontrollierte Aufnahme von Flüchtlingen. Das ist in meinen Augen auch keine gute Idee, da man so anfängt die Menschen zu selektieren. Ich denke man sollte die Menschen nicht in Rassen einteilen. Es gibt keine Rassen, wir sind alles Bürger einer einzigen Welt. Das wird uns zwar nicht vermittelt, aber es ist so. Es ist keineswegs so, dass die Italiener besser sind als die Afrikaner. Wer so etwas sagt, ist ein dummer Faschist. Wenn ein Italiener denkt er ist besser als ein Afrikaner, ist das genauso schlimm, wie wenn ein Afrikaner denkt, er ist besser als ein Italiener. Es gibt keine Rassen und somit sind alle Menschen gleich.

Aber leider denken immer weniger Menschen in Italien so. Das hat mit der Propaganda zu tun und mit der Zunahme von afrikanischen Flüchtlingen. In Italien heißt es oft, dass die Afrikaner den Italienern die Jobs wegnehmen, aber die Jobs die die Afrikaner haben will kein Italiener machen. Ich glaube die Flüchtlinge sind die Kraft die unsere Wirtschaft am Laufen hält und unseren Wohlstand sichert.

 

F:         Wie ist euer Verhältnis zu Banda Bassotti?

D:         Wir sind befreundet. Vor 5-6 Jahren haben wir ein paar Mal zusammengespielt. Banda Bassotti ist eine der wenigen Bands die unsere Einstellungen verstehen und nachvollziehen können. Banda Bassotti sind ähnlich eingestellt wie wir.

 

F:         Ich denke, dass Ihr die modernen Banda Bassotti seid.

D:         Ja, das stimmt. Das sagen viele Leute. Ich denke, dass liegt auch daran, dass wir politisch ähnlich eingestellt sind. Musikalisch sind wir aber schon unterschiedlich. Banda Bassotti spielen eine Mischung aus Punk und Ska. Wir haben noch starke Einflüsse von Mano Negra. Die Themen über die wir singen sind aber ziemlich gleich, das stimmt schon.

 

Kaum waren die letzten Sätze gesagt, wurden wir fast aus dem Backstage geworfen, weil die Umbaupause schon begonnen hatte und somit nur noch wenige Minuten für TALCO zu Verfügung standen um sich vorzubereiten.

Frank

 
   
 
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