Wiglaf Droste liest im KAMP am 25.11.2009
 

Wiglaf Droste liest im KAMP am 25.11.2009

 

Ja, lang ist es her, der Erscheinungstermin wurde verschoben, was mir unzweifelhaft zugute kommt, wie ich hier gleich zu Beginn meines Reviews zugeben muss. Der Nachteil ist, dass die Events, die wir hier im Nachhinein besprechen, nun auch schon eine ganze Weile her sind. Aber dadurch werden sie weder schöner noch schlechter. Sie sind einfach.

 

Wiglaf Droste. Am 25.11.2009 im KAMP. Da sitzt irgendwo ein älterer Herr auf der Bühne, vorm Eingang des KAMP eine Menschentraube, vom Alter her eher Lehrer als Studenten, eher Bildungsbürger als Hartz IV Empfänger, aber das war ja bei einer Lesung dieser Art nicht anders zu erwarten. Man raucht, eher Selbstgedrehte oder Gauloises als Marlboro und mir wird schmerzhalft bewusst, dass schon über vierzig bin und die Zeiten, wo ich zu Uni-Partys oder Konzerten von D.O.A. Oder den Astronauts im KAMP war, das damals noch JZ – Kamp hieß, auch schon gefühlte dreihundert Jahre her sind. Mindestens.

Ich muss mich erstmal wieder zurecht finden. Aha: Theke, da wo schon immer. Klo, vollgesifft, auch. Die Bedienung, mit der ich im Laufe des Abends ein bisschen flirten werde, maximal Mitte zwanzig; und ich finde, da fällt auch nicht weiter auf, dass Herr Droste auch schon achtundvierzig ist und, wie meine Begleitung (selbst erst Ende zwanzig) dauerhaft betont, wahnsinnig sexy auf der Bühne ist. Da kann ich ja vielleicht auch noch ein bisschen Hoffnung haben.


Wiglaf Droste, 1961 in Herford geboren, anschließend nach Bielefeld umgezogen und in Heepen zur Schule gegangen, lebt nach einem langen Aufenthalt in Berlin nun in Leipzig, nachdem er einen Abstecher ins Brandenburgische Rheinsberg machte, wo er ein halbes Jahr lang als Stadtschreiber tätig war. Bekannt geworden vor allem als Satiriker, Redakteur der Titanic, Mitarbeiter bei TIP, der TAZ und gelegentlich beim WDR, verfasst Bücher und Kolumnen, wenn er nicht gerade zu Lesereisen in der Republik unterwegs ist. Heute ist er nach Bielefeld gekommen, um sein neues Buch „Im Sparadies der Friseure: Eine kleine Sprachkritik:“ vorzustellen und zu promoten. Auf dem Gang zum Klo ist ein kleiner Tisch aufgebaut, auf dem ebendieses sowie ältere Werke käuflich zu erwerben sind. Einige sind heruntergesetzt, und ich frage mich, ob es ihm wohl ein besonderer Genuss sei, im Eigenvertrieb die preisgebundenen Bücher von Thalia zu unterbieten. Seine Texte an diesem Abend, mir persönlich allesamt unbekannt, handeln von den üblichen Untiefen der deutschen Sprache, von Gefühlen und ihrer Duselei, ob's nun dir Mutter beim alljährlichen Weihnachts-Scrabble ist, der durchschnittliche Tourist im Spreewald, den er während seines Aufenthalts als Stadtschreiber kennenlernen durfte (etwas platt, aber dem heutigen, links-bürgerlichen Publikum offensichtlich angepasst: „Wo ist eigentlich der Unterschied zwischen einem Touristen und einem Terroristen? Antwort: Terroristen haben Sympathisanten.“), oder dem einsamen Bauarbeiter vor der Tür, der als Junge nicht über das Stadium eines Klinkindes hinauskam und deshalb die größte Freude beim Krachmachen empfindet.

Gleich zu Beginn der Veranstaltung fällt ihm auf, dass er nun schon zum vierten mal im Spätherbst in Bielefeld ist und jedesmal gerade Weihnachtsmarkt in der Stadt ist, was ihn zu der These hinreißen lässt, in Bielefeld sei IMMER Weihnachtsmarkt, was er irgendwann einmal bei einem Besuch im Frühjahr nachprüfen wolle. Auch die Beziehung zwischen den ostwestfälischen Metropolen Bielefeld und Paderborn erwirbt seine Beachtung, da er tags zuvor in Paderborn zum Lesen war, wo es im Gegensatz zu seinem Besuch im KAMP sicher auch für jeden Besucher einen Sitzplatz gab. Er schildert die Bahnfahrt zwischen den Städten bildreich, und bewertet das kulturelle Leben der Paderstadt eher sarkastisch. Seiner alten Heimat Bielefeld hingegen widmet er ein Gedicht, dass er anlässlich eines Besuchs beim Delius-Klasing Verlags schrieb und seitdem immer wieder umarbeitet. Das Publikum dankt es mit lautem Applaus. Es folgen einige ältere Geschichten über die Sprache und Kultur und auch seine alten Lehrer am Gymnasium Heepen kommen nicht drum herum erwähnt zu werden – eher unschmeichelhaft, aber wenigstens im Gedächtnis geblieben.

 

Abschließend noch eine Glosse über eine Lesung in Frankfurt am Main, wobei er seine Freude zum auftritt bringt, kein Interview mit dem hiesigen Uniradio führen zu müssen – zu tief säße noch die Erinnerung an ein Interview mit ebenjenem Radio aus Frankfurt, bei dem ihn der Interviewer bat auf dem Handy zurückzurufen, da das Telefonat ansonsten den vorgegebenen Kostenrahmen sprengte, und sich zum Schluss bei ihm mit falscher Anrede („Wigald“) für das Gespräch bedankte.

 

Alles in Allem war es ein gelungener Abend, anstatt Schenkelklopfern liefert Wiglaf Droste eher fein- bis unsinniges aus dem Alltag, er schaut den Menschen auf's Maul und lästert über den einfachen Menschen draußen vor dem Fernseher, wobei er seine bildungsbürgerliche Herkunft und seine Abneigung gegen Alles, aber vor allem gegen das Establishment streckenweise ein bisschen zu weit heraushängen lässt. Man muss Wiglaf Droste nicht mögen (und sicher auch nicht sexy finden), aber wenn man mit offenen Augen durch die Welt läuft, fällt es sicher schwer, dem einen oder anderen Nachtreten kein Schmunzeln abzugewinnen. Am Ende des Abends sind die Erdnüsse an der Theke aufgegessen, Wiglaf Droste hat sich mit einem Lied über den Konsum, das er alleine vorträgt (wobei er beim ersten Versuch den Text vergessen hat) verabschiedet, die Bedienung an der Theke hat wenigstens ein paar mal herübergelächelt, mit einem Schmunzeln in den Backen und einer Handvoll neuer Bücher, die in Zukunft den Beistelltisch auf meinem Klo und den Rand meines Bettes schmücken werden, gehe ich zufrieden nach Hause und freue mich auf nächsten Herbst, wenn ich das nächste mal Herrn Wiglaf Droste im KAMP sehen werde, wobei ich mir jetzt schon vornehme, über gelegentliche Plattitüden und bildungsbürgerliche Belehrungen großmütig hinwegzusehen.

Michael Schröder

 

 
   
 
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