I think my older brother… Moment, ich hab nur ne kleine Schwester
LAGWAGON-Interview
Als dienstälteste Band auf FAT WRECK CHORDS gehören LAGWAGON zur absoluten Speerspitze des melodischen Punks, unzählige Kids dürften zu den Klängen der Band ihre eigene kleine Revolution geprobt haben um sich von der Band dann auch in späteren Jahren weiter begleiten zu lassen. Die Ironie im Titel der neuen EP ‚I think my older brother used to listen to LAGWAGON‘ ist genau so erfrischend wie vermutlich auch zutreffend: Mittlerweile dürften selbst Nachkömmlinge dem Abiturientenalter entwachsen sein, während der große Bruder vermutlich schon ganz brav und spießig mit Frau und Kindern am Eigenheim baut.
Gründe genug also um der Band das Mic unter die Nase zu halten. Dieses Mal auch tatsächlich fast der kompletten Band, auf Grund von Zeitproblemen fand das Interview von Shitletter und VERBOTENE FRÜCHTE Fanzine zusammen statt, als ‚Entschädigung‘ beteiligten sich aber auch 80% der Band an der Beantwortung der Fragen. Das Zeitproblem stellte sich während des Gesprächs dann auch als dehnbar heraus, trotz diverser Pinkelpause aller Beteiligter sah sich niemand gezwungen den Redefluss der am Gespräch Beteiligten irgendwie zu unterbrechen.
Das Interview fand vor der Show der Band im JZ Kamp zu Bielefeld am 17.07.2008 statt.
Here we go…
Bexx: Jetzt, wo ungefähr ¾ der aktuellen Tour gelaufen ist, wie sehr ihr eure diesjährige Tour bisher?
Jesse: Bis jetzt ist die Tour sehr gut gelaufen, es ist etwas schwierig auf Tour zu gehen bevor dein neues Album erscheint, wir sind da nicht so ganz glücklich drüber, aber die Tour ist auf jeden Fall gut gelaufen bisher.
Bexx: Gab es bei der Veröffentlichung irgendwelche Probleme oder wieso ist das Album noch nicht erschienen? Normalerweise wäre es ja vermutlich umgekehrt gelaufen?
Joey: Wir waren schon dabei die Tour zu planen als wir noch mitten in den Aufnahmen zu der EP steckten, eigentlich war nur ein Festival geplant, plus ein paar Daten in Russland. Um diese Daten haben wir dann die Tour herum gebucht, deswegen passte es jetzt nicht so gut. Blöd ist, dass es auf dieser Tour fast nur regnet bis jetzt. Es ist irgendwie ziemlich nervig, man ist unterwegs und es regnet in einem fort. Wenn wir nach Hause fliegen wird es da bestimmt auch nur regnen. Wir sind verflucht.
Basti: Im vergangenen Jahr haben GOOD RIDDANCE aufgehört, Russ Rankin hat in einem Interview zum Abschied gesagt dass er den Zeitpunkt für richtig hielt weil die Band nicht mehr die Bedeutung habe wie früher. Wie sieht es da in Bezug auf LAGWAGON aus?
Joey: Ich bin mir nicht sicher ob die nicht heute Abend stattfindet (lacht). Nein, im Ernst, ich weiß es nicht, ich denke nicht.
Chris Flippin: Ich bin dafür dass wir es wie Celine Dion machen, wir sagen es sei die Abschiedstour und spielen nur volle Shows. Dann warten wir nen Jahr und gehen auf große Reunion-Tour.
Joey: Die RAMONES haben auch einige Reunion-Shows gespielt, die haben bestimmt gut Geld gemacht…
Chris Flippin: KISS machen das auch immer mal wieder…
Bexx: … und es funktioniert bei denen auch sehr gut…
Joey: … wir sind jetzt so nah an der 20-Jahres-Marke, da müssen wir jetzt noch durchhalten…
Basti: Was ist eure Motivation mit der ihr die ganzen Jahre durchgehalten habt?
Joey: Ich weiß es nicht, wenn du ne Idee hast, lass es mich bitte wissen, da lässt sich bestimmt viel Geld mit verdienen. Ich glaube wenn du die Musik liebst dann kannst du das auch durchhalten. Ich glaube wir mögen es immer noch.
Jesse: Egal wie müde ich auf Tour bin, die Energie die man von den Leuten zurückbekommt ist schon ziemlich gut, man hält das dann sehr gut durch.
Chris: Wir kennen uns mittlerweile alle schon so lange, wir hängen seit so vielen Jahren miteinander rum, wir kennen die Macken der anderen, es ist schon fast wie eine Familie wenn wir auf Tour sind.
Bexx: Als ihr vor 19 Jahren angefangen habt…
(In der Band bricht eine wilde Diskussion aus wann es denn nun wirklich losgegangen ist, im Verlauf der Diskussion kommt es immer wieder zu teils haarsträubenden Verstößen wider der Mathematik (Joey: 1999 hatten wir unser 20jähriges Jubiläum), alle reden durcheinander, auf dem Tape ist leider nicht jede Aussage komplett zu hören weil es so laut ist, die Zuordnung einzelner Satzfetzen zu einzelnen Personen ist dementsprechend leider auch unmöglich…)
Joey: Egal, nächste Frage…
Bexx: Worauf ich hinauswollte: Was hat sich in den ganzen Jahren in der Szene geändert, was hat sich an der Musik geändert, was hat sich für euch persönlich in all der Zeit verändert?
Chris Flippin: Wir sind älter geworden…
Chris: Ja, wir sind ein ganzes Eck älter geworden…
Chris Flippin: … Wir sind sehr viel älter geworden, nur die Chicks bleiben im gleichen Alter… (Gelächter)
Jesse: Über die Jahre ist das alles sehr viel mehr Mainstream geworden. Die Punkkids auf den Shows in den ersten Jahren sehen mittlerweile auch alle eher normal aus, die Kids sehen im Moment eher so aus wie Screamo-Kids.
Joey: So viel hat sich verändert, und eigentlich doch so wenig. Du kannst dich doch eigentlich nur in deinem persönlichen Umfeld verändern. Klar bin ich älter geworden, aber die Musik, das Umfeld, die Energie auf den Shows, all das hat sich für mich bis heute gar nicht geändert. Es ist so wie es für mich immer war.
Bexx: Es ist nicht komisch die gleichen Songs die ihr vor 15 Jahren vor Kids mit Iros gespielt habt jetzt vor Kids im Screamo-Outfit zu spielen?
Joey: Ich denke wir können alle unterschreiben dass es einige Songs gibt bei denen wir froh wären sie nie geschrieben zu haben (lacht). Wir ersetzen immer mal wieder Songs die wir nicht mehr hören können durch neue Songs, bzw. Songs die wir lange nicht gespielt haben und für uns wiederentdeckt haben. Von neuen Alben kommt auch immer was dazu. Die Songs von den ersten beiden, oder den ersten drei Alben sind die Sachen die die Leute immer hören wollen. Wir versuchen halt einen für uns und die Zuschauer guten Mix zu finden.
Basti: Euer letztes Album ‚Resolve‘ ist als direkte Reaktion auf den Suizid eures früheren Schlagzeugers entstanden. Rückblickend, war es gut das Album in diesem Kontext zu veröffentlichen?
Joey: Für mich persönlich kann ich sagen dass es sehr wichtig gewesen ist dass es so gelaufen ist, die Aufnahmen, die Tour, die Tatsache die Songs spielen zu können waren für mich notwendig um über die Sache wegkommen zu können…
Bexx: Ihr veröffentlicht eine neue EP (‚I think my older brother used to listen to LAGWAGON‘), ist der Titel ein Satz den ihr mittlerweile oft zu hören bekommt wenn ihr auf Tour seid?
Chris: Ich denke, die meisten Leute meinen es gar nicht wirklich böse, wenn sie diese Phrase benutzen.
Jesse: Wir haben sie über die Jahre auf jeden Fall ziemlich oft zu hören bekommen…
Bexx: Fühlt es sich für euch komisch an, wenn euch jemand diesen Titel ‚an den Kopf wirft‘? Kommt ihr euch alt vor?
Joey: Ich denke, eigentlich ist für mich wie ein großer Scherz, viele andere Bands, denke ich, werden diesen Titel sehen und sagen ‚Yeah, so ist es‘. Es ist hart über eine sehr lange Zeit in einer Band zu sein, die Vermarktung der Musik hat sich komplett verändert, für die meisten Hörer hat sich die Sache verändert, es ist nicht mehr so wie es für mich als 16jähriger war, ich habe Platten gesammelt, heute kann man sich die Sachen im Internet runterladen. Du wirst älter, es ist viel einfacher an Musik zu kommen, die Zeiten haben sich einfach geändert… Es ist ein netter Witz für die Leute die mit uns älter geworden sind.
Bexx: Gibt es zu der EP auch ein Konzept, basierend auf dem Titel?
Joey: Es ist textlich gesehen ein ganz normales Album, genau so langweilig wie die anderen Alben die wir veröffentlicht haben.
Jesse: Ich denke es ist so wie immer, ich denke, dass es in den letzten Jahren eher weniger lustige Songs von uns gegeben hat, das ist auf der EP vielleicht wieder etwas besser geworden.
Joey: Ich denke, ich habe in den letzten Jahren viele Dinge durchgemacht, die mich ziemlich beschäftigt haben, das hat sich in den Texten niedergeschlagen… Ich glaube unser letztes lustiges Album war ‚Double Plaidinum‘…
Basti: Joey, du arbeitest an einem Solo-Album, arbeitest noch mit anderen Bands, wie schaffst du das zeitlich alles unter einen Hut zu kriegen?
Joey: Ich versuche einfach, das alles hinzukriegen, es ist nicht ganz so einfach, manchmal klappt es nicht. Wenn du in einer Band bist und Platten veröffentlichst, auf Tour gehst, hast du trotzdem noch sehr viel Leerlauf im Jahr wo du nichts machst. Du kannst einem normalen Job nachgehen, aber das ist auch nie so ganz einfach, ich könnte mich da auch nicht so drauf konzentrieren glaube ich. Es ist manchmal etwas schwierig über den Aufnahmen und den Tourneen ein guter Vater und Ehemann zu sein, das ist eine Herausforderung.
Chris: Wenn du in einer Band bist musst du eigentlich konstant auf Tour sein, wenn du davon deinen Lebensunterhalt bestreiten willst, seitdem die Musikindustrie in ihrer Krise steckt ist das die einzig wirklich Einnahmequelle, die Plattenverkäufe sind da doch deutlich weggebrochen.
Basti: Bedeutet das, dass ihr öfter auf Tour geht als früher?
Joey: Eigentlich haben wir nicht wirklich reagiert, wir sind zu faul… Wir merken auf jeden Fall, dass wir weniger einnehmen, aber bisher sind wir nicht öfter auf Tour gegangen als früher, wir haben einfach noch nicht auf die veränderte Situation reagiert. Ich denke, wir werden auch erst reagieren wenn von den Plattenverkäufen überhaupt kein Geld mehr reinkommt… Wahrscheinlich ist das in drei Monaten.
Chris: Vielleicht sollten wir einfach mehr Merchandise veröffentlichen, Brotboxen und sowas…
Bexx: … Farewell-Touren sollen als Ankündigung auch immer zu ausverkauften Shows führen habe ich mal gehört…
Chris: … die kann man auch mehrfach machen, das könnte wirklich funktionieren (lacht)…
Joey: Das Problem ist wirklich, dass wir von unseren neuen Alben mittlerweile nicht mehr viel verkaufen. Ich glaube ‚Double Plaidinum‘ war das Album was sich am Besten verkauft hat, da haben wir um die 300.000 Stück von verkauft. Von der ‚Resolve‘ sind in Europa insgesamt gerade mal 7.000 Scheiben verkauft worden… Die Leute können die Texte trotzdem, sie müssen also auf anderen Wegen an die Musik gekommen sein… Die Shows sind nach wie vor genau so, wie 1993, es kommen immer noch ungefähr genau so viele Leute. Die Technologien verändern sich, die Gesellschaft verändert sich auch. Wenn du das große Ganze betrachtest hat es ja auch Vorteile, wir sind jetzt gerade zum zweiten Mal in Russland auf Tour gewesen, wenn du siehst, wie sich dort alles verändert merkt man schon, dass nicht jeder Fortschritt ein Fortschritt zum Schlechten hin ist. Eigentlich haben wir ja auch Glück gehabt, mit der Band bin ich quasi überall auf der Welt gewesen wo ich hin wollte, deswegen ist es schwierig sich jetzt über sowas zu beschweren…
Bexx: Wie steht ihr denn zu dieser Entwicklung mit den Downloads? Ich meine, wenn ich eine Band mag, dann unterstütze ich sie dadurch, dass ich mir ihr Album kaufe… Und auch wenn es gerade in den letzten Jahren für eine junge Band zunehmend einfacher geworden ist Sachen zu veröffentlichen, was in meinen Augen auch dazu geführt hat, dass viel Schrott veröffentlicht worden ist der es meiner Meinung nach nicht wert war, so denke ich doch, dass sich Qualität durchsetzt und ich eine gute Band quasi für ihre Arbeit damit ‚belohne‘, dass ich mir ihr Album dann auch kaufe…
Joey: Das ist ein wichtiger Punkt… Ich denke allerdings, dass die Qualität etwas subjektives ist, jeder Mensch wird das anders sehen. Alles was wir als Band tun können ist, unser Bestes zu geben, alles in die Musik zu stecken was wir haben…
Jesse: Ich denke Plattformen wie myspace haben für neue Bands schon Vorteile, du musst dich nicht mehr in die Hände einer Plattenfirma begeben, die Entwicklung ist da so schlecht nicht gewesen, das war vor 10 oder 20 Jahren einfach noch viel komplizierter…
Joey: … ich glaube ich habe da einfach eine romantische Vorstellung von der ganzen Sache. Als ich ein Kind war gab es nur Vinylplatten, die Alben aufzulegen war einfach das Beste, was es gab, das Layout zu begucken, die Texte auf dem Sleeve zu lesen. Dann kamen erst Kassetten, danach dann die CDs, das ist eben eine normale Entwicklung… Heute musst du aber schon besondere Auflagen veröffentlichen um überhaupt Alben zu verkaufen, man kann schon fast sagen, dass die Alben nur noch für die Fans veröffentlicht werden, die Leute, die nur ein paar Lieder mögen, werden sich diese auf anderem Weg besorgen… Ich denke, man sollte immer im Auge behalten was einem wirklich wichtig ist, ob als Musiker, oder als Fan.
Bexx: Wie steht ihr dann zu dem Vorgehen von PENNYWISE?
Jesse: Ich denke, das ist so etwas wie eine Experimentalphase, viele Bands überlegen sich, wie sie jetzt vorgehen sollen, ich finde das interessant. Guck dir Bands wie NINE INCH NAILS oder RADIOHEAD an, die haben ihre Sachen so im Netz veröffentlicht und um Spenden gebeten, das scheint ja so weit nicht schlecht funktioniert zu haben. PENNYWISE haben da jetzt eine andere Möglichkeit gefunden, man wird sehen, welche Version sich nachher mal durchgesetzt haben wird.
Joey: Ich glaube, dass in den nächsten Jahren noch mehr solcher Experimente stattfinden werden. Wir als Band sind da noch in einer recht komfortablen Position weil wir bei einem Label sind, denen viel daran liegt, dass wir ganz normal weiter Alben veröffentlichen können und die uns da auch unterstützen. Natürlich wird es auch für das Label schwieriger, deswegen halte ich das myspace-Ding auch für durchaus interessant, auch wenn ich da persönlich nicht so überzeugt von bin.
Chris: Die Qualität der Aufnahmen stört mich da ein bisschen, die Musik ist ja quasi auf mp3-Format runtergebrochen, da geht dann doch was verloren.
Joey: Heutzutage kann man mit dieser Technologie so viel aus den Aufnahmen rausholen, ich wundere mich immer ein bisschen, warum Leute sich mit so einer reduzierten Qualität wie bei mp3 zufrieden geben. Mittlerweile kannst du doch sogar Vinylalben in grandioser Qualität auf deine Festplatte bringen, da sehe ich nicht so ganz, weshalb ich da musikalisch auf einen Teil des ‚Genusses‘ verzichten soll.
Chris: Wenn du so willst hast du auf CDs auf jeden Fall die bessere Qualität…
Joey: Wahrscheinlich könnten wir jetzt noch ne ganze Stunde weiter über dieses Problem reden und geraten dann ins fachsimpeln (lacht)… Mach lieber weiter…
Basti: Welche Alben habt ihr euch zuletzt gekauft?
Joey: Oh… Ich glaube, das letzte Album, das ich mir gekauft habe war das von DEATH CAB FOR CUTIE…
Chris: Ich habe mir ein Album von AL DI MEOLA gekauft, bzw. habe ich mir das bei iTunes runtergeladen. Und dann habe ich neulich in einem Plattenladen noch eine alte Platte von HARRY BELAFONTE gefunden die ich mir gekauft habe, die war aber auch recht günstig.
(Danach werden noch einige andere Künstler und Plattentitel verwendet, die ich leider wegen diverser Hintergrundgeräusche nicht sicher verstehen konnte, es ging dann aber recht schnell um vergleichsweise wüste spanische Folklore-Musik und so; bexx)
Joey entschuldigt sich und sagt, dass er in ein paar Minuten zurück sei, die Gelegenheit ist also günstig, den Rest der Band nach Joeys Solo-Escapaden zu befragen…
Bexx: Was haltet ihr davon, dass Joey eigene Sachen veröffentlicht, unabhängig von der Band, ist das bei euch schon mal ein Thema gewesen?
Jesse: Es ist okay… (lacht)
Chris: Ich habe es ganz ehrlich nur zwei Mal gehört, ich kann mich dran erinnern, dass Tony wesentlich reduzierter von der Musik her gearbeitet hat…
Bexx: In ‚Hurry up and wait‘ singt ihr davon, wie nervig es sein kann auf Tour zu sein, wenn man stundenlang nur auf die Show wartet. Jetzt habe ich auf eurem Tourplan gesehen, dass ihr demnächst zwei Shows an einem Tag spielen werdet, ist das dann das andere Extrem?
Jesse: (lacht) Es gibt uns auf jeden Fall die Gelegenheit uns zu betrinken, auszunüchtern und das ganze dann noch mal durchzumachen… Hart wird es wahrscheinlich für Joey, der muss das mit seiner Stimme irgendwie hinkriegen…
Chris: Ansonsten müssen wir halt früher aufstehen, ansonsten ist das nicht so viel anders, es sind eben ‚nur‘ zwei Shows die an einem Tag liegen. Die Distanz zwischen den beiden Veranstaltungsorten ist jetzt auch nicht so groß, dann geht es noch. Vor ein paar Jahren haben wir mal auf dem Roskilde-Festival gespielt, sind direkt danach zum Flughafen gefahren um dann Abends die reguläre Tourshow in Italien schaffen zu können, das war dann nicht mehr ganz so witzig…
Bexx: Im November stehen in den USA die nächsten Präsidentschaftswahlen an, versucht ihr jetzt auf der Tour den Wahlkampf zu verfolgen? Interessiert ihr euch für die Politik?
Jesse: Ich denke, dass es – wenn es um die Band geht – es einige Bands gibt die sicherlich politischer sind als wir. Ich würde aber auch sagen, dass wir – als Menschen – durchaus sowas wie Politik-Junkies sind, wir versuchen schon, die Geschehnisse zu verfolgen, auch wenn das auf Tour nicht immer ganz einfach ist. In dem meisten Fällen sind die Neuigkeiten die wir mitbekommen allerdings auch nicht unbedingt die Nachrichten die ich als gute Nachrichten bezeichnen würde…
Bexx: Sprecht ihr in Interviews gerne über Politik?
Joey (gerade zurück, etwas zurückhaltend): Ja.
Jesse: Ja…
Bexx: … ich frage, weil ich bei anderen Interview die ich mit (amerikanischen) Bands geführt habe und die ich mit (amerikanischen) Bands gelesen habe oft das Gefühl hatte als ob die Interviewer fast schon eine Antwort zum Thema ‚Politik‘ (oder etwas platter ‚Bush‘) erzwingen wollten und ich beim Lesen immer das Gefühl bekam, als ob der Musiker sich irgendwie rechtfertigen müsste für etwas, das er nicht verschuldet hat. Ich fand das selber eher nervig zu lesen, deswegen würde ich diese Frage einfach komplett weglassen, wenn mein Interviewpartner mir sagt, dass er da nicht unbedingt drüber sprechen möchte, um eben dieses zwanghafte zu vermeiden…
Joey: In dem Punkt hast du vermutlich recht… Aber es ist nett, dass du es so sagst (lacht). Ich kann mich an ein paar Interviews erinnern die mich an die von dir beschriebene Situation erinnert haben… Es gab eine Zeit, in der ich mich regelrecht dafür verfolgt gefühlt habe dafür, dass ich in einem bestimmten Land geboren worden bin. Es ist mittlerweile wieder besser geworden, aber in den vergangenen Jahren habe ich viele Interviews gegeben die mir keinen Spaß mehr gemacht haben weil ich mich in einem fort für etwas rechtfertigen musste, das ich nicht verschuldet habe, es macht dich müde…
Jesse: Ich kann verstehen, dass Leute danach fragen, aber so wie es da gelaufen ist war es mir auch deutlich zu viel. Wir haben immer versucht, unsere Meinung kund zu tun, aber viele Leute hatten scheinbar schon eine recht vorgefertigte Meinung, es war recht schwierig da etwas zu sagen, zumal viele Interviewer dann auch gerne Sachen hören wollen, die sie als Schlagworte in ihren Berichten gut benutzen können, da ist es schwierig dann verschiedene Aspekte ausführlich zu beleuchten…
Bexx: Kriegt ihr viel von der Politik mit in den Ländern, in denen ihr auf Tour seid? Du hast eben ja schon die Tour in Russland erwähnt…
Jesse: Ja, in Teilen kriegt man das auf jeden Fall mit, allerdings vermutlich auch eher die Sachen die gerade groß sind in der Presse. Ich denke, dass man Sachen, die gesellschaftspolitisch wichtig sind nicht unbedingt so leicht mitkriegt, oft sind das ja eher Prozesse, die eine Zeit brauchen, Diskussionen, Veränderungen… Das zu verfolgen ist, wenn man ‚nur auf Tour‘ ist eher schwierig. Über die amerikanische Politik kann man allerdings fast überall etwas finden, auch wenn ich denke, dass die Amerikaner generell manchmal etwas ich-bezogen reagieren, sie nehmen die Politik Amerikas für zu wichtig im Vergleich zu dem was andere Staaten tun. Wenn wir hier sind, zum Beispiel, kriegen wir recht viele Nachrichten über das was in den USA passiert. Wenn du in den USA auf Tour bist beschränken sich die Nachrichten auf die USA selber… Und den Krieg im Irak bzw. den Krieg gegen den Terror, von Entwicklungen in anderen Staaten erfährst du da tatsächlich relativ wenig…
Bexx: Byron (McMackin, der Drummer von PENNYWISE, bexx) hat im Frühjahr zusammen mit den VANDALS ein paar Shows für die Soldaten im Irak gespielt, wie steht ihr so einem Engagement gegenüber?
Joey: Zuerst ist wichtig, zu sehen, dass es einen Unterschied gibt zwischen den Leuten die zur Armee gehen und den Leuten, die eine Armee in den Krieg schicken. Es gibt nach wie vor viele Leute, für die die Armee eine Art Ausweg darstellt weil sie aus Gegenden kommen, in denen sie beruflich sonst ziemliche Schwierigkeiten hätten etwas zu erreichen. Natürlich gibt es auch Gegenden in denen es schwierig ist jemanden zu finden, der nicht für den Krieg ist, aber für viele Leute ist es eben eine Option. Ich persönlich halte es auch für keine gute Idee Soldat zu werden, aber um den Punkt geht es eigentlich gar nicht. Es geht um die Leute die über Kriege entscheiden. Dieser Krieg war das erste Beispiel für einen Krieg den Amerika führt der auf fragwürdige Entscheidungen zurückzuführen war. In Amerika kannst du in der Familie nicht problemlos über dieses Thema reden, ich habe Freunde darüber verloren weil es ein Thema ist, das immer in Streit ausartet… Ich rede da mittlerweile auch nicht mehr gerne drüber, weil es mir selber zu wichtig ist als dass ich das auf dieser Schiene ‚austragen‘ möchte. Ich kenne mich ziemlich sicher nicht gut aus im Mittleren Osten, ich weiß bestimmt auch nicht alles über den Islam oder über Muslime… Bei vielen Leuten geht es aber vorrangig darum dass sie diesen Krieg wollen weil sie es mit dem Slogan ‚Support our Troops‘ verbinden, das ist ein etwas komischer Zusammenhang, in meinen Augen…
Jesse: … Ich halte den Krieg für falsch. Es ist so viel Geld in diesen Krieg gesteckt worden das man sinnvoller hätte ausgeben können. Viele Leute sehen aber erstmal das Geld, dass sie dir geben, wenn du in den Krieg gehst…
Joey: Mittlerweile sind in Amerika viele Bücher erschienen in denen Veteranen über ihre Erlebnisse auch im Irakkrieg schreiben, vielleicht hilft das etwas dabei die Leute verstehen zu lassen was in diesem Krieg wirklich passiert, die Meinung ändert sich, vielleicht ändert es sich nachhaltiger… In Deutschland gibt es heute noch bestimmt viele Leute deren Angehörige oder Großeltern im Zweiten Weltkrieg gekämpft haben… Ich glaube nicht, dass die Soldaten die bösen Menschen sind, die nur schlechtes tun. Sollte uns als Band angeboten werden im Irak zu spielen würden wir das ablehnen. Das hat nichts damit zu tun, dass wir uns nicht auch um die Leute da sorgen, es geht darum, dass wir da nicht unbedingt hinpassen würden und ich den Hintergrund damit nicht unterstützen will.
Chris: Die Armee hat zunehmend Probleme, Nachwuchs zu rekrutieren, die gehen mittlerweile an die High Schools und Colleges und versuchen die Leute da zu werben indem sie ihnen Shirts schenken, sie zu Schießtrainings mit großkalibrigen Waffen einladen und so versuchen, sie zu einer Unterschrift zu überreden. Das sind Werbemaßnahmen wie die Wirtschaft sie auch anwendet, damit sie Nachwuchs für ihren Krieg bekommen, das ist verrückt…
Bexx: Glaubt ihr, dass es sich, sollte Obama im November zum Präsidenten gewählt werden, schnell zum Guten wendet, dass die Welt auch wieder weniger kritisch mit Amerika ins Gericht geht?
Jesse: Ich denke nicht, dass es über Nacht besser werden wird, ich glaube aber schon, dass er versuchen würde, so schnell wie möglich Zeichen zu setzen um den Leuten zu zeigen, dass sich die Politik geändert hat. Aber es gibt immer Kämpfe zwischen den einzelnen Parteien. Im Großen und Ganzen befürchte ich, wird sich nicht so viel ändern, aber ich denke, dass es um ein Zeichen geht…
Joey: … Ich denke auch, dass wichtig ist, dass er ein Zeichen setzt, dass er den Leuten zeigt, dass Amerika auch andere Gesichter hat, dass er auch andere Probleme angehen will, dass er die Armut bekämpft, die Arbeitslosigkeit… Amerikaner sind viel zu sehr wie Schafe, sie lassen sich von den Medien und der Politik einlullen, das ist ein großes Problem. Ein normaler Amerikaner interessiert sich dafür, dass der Spritpreis bei 6$ pro Gallone liegt, das sind dann auch die Probleme, die Wahlen beeinflussen. Obama muss klar machen, dass er für einige der Probleme nicht verantwortlich ist, auch wenn das in den Medien anders klingen wird. Er wird viel Kraft investieren müssen die Leute zu überzeugen, dass er generelle Probleme im Land annehmen will, in Bezug auf die Wirtschaft, auf die Arbeitslosigkeit, auf die Gesundheitssysteme…
Basti: Habt ihr bei den letzten Wahlen auch punkvoter.com unterstützt? Wie steht ihr zu Leute wie Ralph Nader, wie steht ihr zu Parteien wie der Socialist Worker Party? Man hört manchmal von diesen Leuten / Parteien, sie scheinen aber in den Wahlen keine wirkliche Rolle zu spielen.
Jesse: Ja, generell haben die sicherlich keine schlechte Ideen, im Moment ist es aber eigentlich auch so, dass du deine Stimme wegwirfst, wenn du für Nader stimmst, damit gibst du im Zweifelsfall den falschen Leuten deine Stimme. Ich habe bis jetzt noch nie für einen Kandidaten gestimmt, ich habe mich immer für das kleinste Übel entschieden. Bei der letzten Wahl zum Beispiel war ich nicht für Kerry, ich mag diesen Menschen einfach nicht, aber im Vergleich zu George W. Bush wäre er definitiv das kleinere Übel gewesen. Wenn ich jetzt für Nader gestimmt hätte wäre meine Stimme nicht den Demokraten zugute gekommen, sie wäre quasi verloren gewesen weil sie bei der Auszählung keine Rolle mehr gespielt hätte, das hätte dann den Republikanern in die Hände gespielt. Also ist es besser du stimmst in diesem Fall für jemanden der dich nicht richtig überzeugt, hilfst aber damit im günstigsten Fall jemanden zu verhindern, den du auf gar keinen Fall als Präsidenten haben willst. Es ist komisch wenn du in der Wahlkabine stehst und dir denkst ‚so ganz richtig ist das, was ich hier mache, auch nicht.‘
Joey: Ich sehe nicht, dass die Grünen es schaffen werden jemals eine Stimmenzahl zu erreichen die an dem 2-Parteien-System etwas ändern würde. Es ist schwer eine dritte Partei in diesem Wahlsystem zu installieren, die beiden großen Parteien nähern sich einander immer mehr an, die Demokraten rücken auch mehr in die Mitte als sie das früher mal waren, ich fühle mich mit jedem Tag weniger links, wenn ich sie wähle… Nader hat ganz sicher einige richtige Ansichten, aber er hat einfach keine Chance.
(Es entbrennt eine Diskussion über Bücher von Noam Chomsky die auf Grund der Tatsache, dass alle durcheinander reden nicht vernünftig rauszuhören ist, bexx)
Jesse: In 2000 habe ich tatsächlich gedacht Nader zu wählen, in Kalifornien waren die Wahlen eigentlich so deutig, dass es eh nichts mehr ausgemacht hätte. Er ist dann bei 6% gelandet, und auf dem Weg nach Hause habe ich überall nur Werbung und Aufkleber für Bush gesehen, als ich zu Hause angekommen bin war ich regelrecht frustriert…
Joey: So ging es mir damals auch, ich weiß genau was du meinst…
Bexx: Okay, eine letzte Frage hätte ich noch, Joey, ich habe gelesen, dass du dein Solo-Album via Bad Taste Records veröffentlichen wirst, kannst du zu dem Album schon etwas sagen?
Joey: Das Album wird in Europa im Oktober erscheinen, es ist ein Akustik-Album. Ich weiß nicht genau wie es den Leuten gefallen wird, die Lagwagon gewohnt sind. Viele der Songs sind jetzt schon auf der EP veröffentlicht worden, das ist vom Timing her jetzt auch eher ungünstig, ich hatte die Texte für das Album geschrieben und sie sind dann doch auf der EP gelandet. Ich habe mit einigen anderen Leuten zusammen gearbeitet, die mir geholfen haben, insgesamt bin ich gespannt, wie die Reaktion der Leute darauf jetzt sein wird. Es ist ein sehr reduziertes Album, ich habe kaum Aufwand in die Produktion gesteckt, es ist wie es ist, so etwas wie eine Passion der ich nachgehen wollte… Wenn es zeitlich passt werde ich hier und da auch ein paar Shows spielen, ich bin einfach gespannt wie sich das alles ergeben wird, es ist eben jetzt doch etwas anders als mit der Band unterwegs zu sein… Ich bin kein wirklich guter Gitarrist, deswegen ist es für mich persönlich eher schwer einfach so loszuziehen. Es ist aber irgendwie eine Sache, die ich jetzt einfach tun musste, ich fühlte, dass ich es tun muss…
Bexx: Danke für die Zeit die ihr euch jetzt genommen habt unsere Fragen zu beantworten. Letzte Worte die ihr gerne loswerden möchtet?
Joey: Die neue EP ist raus, aber das wisst ihr vermutlich schon…
Jesse: Kommt zu den Shows, guckt euch Joeys Schnauzbart an…