Interview mit NITRO 17
Am 28.08.2008 traf ich mich mit Sänger Jo und dem Kontrabassisten Ralf im Friedrichshainer Südkiez. Genau genommen in der Mainzer Straße. Die Mainzer Straße war die Straße die nach der Wende bundesweit Schlagzeilen machte, weil hier der Kampf um die besetzten Häuser am stärksten geführt wurde. Mittlerweile bieten schicke Friseure und kleine sympathische Kiezläden ihre Dienste und Waren an. Kaum noch was erinnert an früher.
Ein Platz mit Geschichte. Bei dem Interview ging es jedoch nicht unbedingt um Geschichte, sondern um die neue Platte “ On to the other side “, Pläne, Rockabilly und vieles andere mehr.
W: “On to the other side“ ist euer Debut – Album. Den Sound den man von euch live kennt, bekommt man auf dem Album pur geboten. Wie habt Ihr es geschafft euren Live-Sound im Studio einzufangen?
J: Ohne große Mühe in vier Tagen. Wenn man sich was vornimmt, kann man es auch erreichen. Man muss es wollen und fühlen.
W: In vier Tagen ein Album aufnehmen, stelle ich mir stressig vor
J: Es war ziemlich entspannt.
R: Wir haben die Songs so aufgenommen, wie wir sie auch live spielen. Ich spiele auch noch in einer Rockabilly Band. Dort wird variiert. Bei Nitro 17 wird der Song Note für Note gespielt. Der Ablauf ist klar. So waren die Aufnahmen nicht problematisch.
W: Eure Promo-CD, die Ihr ja auch in einer kleinen Auflage veröffentlicht habt, war vom Sound noch nicht so klar.
J: Vom Sound her war die nicht der Brüller, aber man konnte die CD anbieten, sowohl für Promotion als auch für die Fans.
R: Bei der ersten CD sind drei Songs gleichzeitig entstanden und die weiteren in einzelnen Sessions in unterschiedlichen Studios.
J: Da sind verschiedene Sounds drauf.
W: Habt Ihr die “On to the other side“ im Studio live aufgenommen, oder Instrument für Instrument?
R: Im Grunde haben wir traditionell aufgenommen. Da muss ich immer sehr schmunzeln. Wenn du richtigen Rock´n´Roll aufnimmst, dann stehen da die Mikros, die Band spielt, der Sänger hat vielleicht Kopfhörer auf und singt parallel zu den Aufnahmen. Dadurch bekommen die Songs eine unglaubliche Dynamik. Es klingt immer anders, wenn du den Gesang erst später aufnimmst. Wir haben zwei Mal mit Produzenten zusammengearbeitet, die haben gesagt “So, ich mach´s mal ganz besonders. Wir nehmen es so live wie möglich auf. Was sagt Ihr dazu?“. Und wir “Ja, wie immer“. Es stimmt aber, normalerweise wird extrem gestückelt. Wir haben Gitarre, Bass und Schlagzeug zusammen aufgenommen. Jo hat dann Pilot gesungen ( Der Pilotgesang ist ). Das ist schon ein ziemliches live Feeling. Später kam dann der Rest drauf.
W: Eure Songs sind sehr atmosphärisch. Wie wichtig ist es euch Traumwelten oder Gefühle in der Musik darzustellen?
R: Die meisten Songs entstehen bei uns in dem wir erst die Musik machen. Später kommt dann der Text dazu. Dieser muss thematisch zur Musik passen. Das Bedürfnis Musik mit Gefühlen zu machen ist groß. Das ist wie wenn man Filmmusik macht. Man sieht den Film und macht dann die Musik dazu. Wir komponieren die Musik nicht extra in eine Richtung, aber wenn der Song da ist, dann lassen wir uns davon mit dem Text führen. Ich finde dass Jo extrem gut mit seinem Gesang auf Melodien eingeht. Das macht die Band besonders! Es gibt viele Bands bei denen viel gebrüllt wird. Bei Jo ist wirklich eine Melodielinie im Gesang drin.
J: Ich zitiere mal einen Kritiker der zu unsere “ersten“ Scheibe folgendes geschrieben hat “ Wenn er die Augen zu macht, kann er Cadillacs sehen, aus denen Rockabillys aussteigen und anfangen zu tanzen. Der Sänger der Band macht einen auf Elvis, muss aber noch üben “.
R: Hände weg von Drogen!
J: Ich wollte den Typen aufsuchen und zusammenschlagen! Hätte ich rausbekommen wo der wohnt, ich wäre allen ernstes zu ihm gefahren.
R: Ich denke dann echt, dass die die Scheibe nicht gehört haben. Ich kann mir vorstellen, so was gibt es tatsächlich, dass Redakteure eine Scheibe in die Hand bekommen, die besprechen sollen, und keine Ahnung von der Musik haben. Die lesen dann das Info durch, sehen dass wir einen Kontrabassisten haben, und malen sich dann ihre Rock´n´Roll Klischeebilder zusammen. Hättest du die Scheibe aber mal reingelegt, dann wäre dir was aufgefallen.
W: Wie das belgische Label “Drunkabilly Records“ auf euch aufmerksam geworden?
R: Ich kenne den Christoph von dem Label, und habe ihm gesagt, dass wir ein Album aufnehmen wollen und eine Plattenfirma suchen. Wir haben zwar einige Labels kontaktiert, aber das Angebot von “Drunkabilly Records“ war einfach das Beste. Es ist eine sehr gute Zusammenarbeit mit Christoph.
W: Belgien ist ja nicht so bekannt was Musik und Labels angeht.
R: Das stimmt, aber für mich hat Belgien die innovativste Musikszene in ganz Europa. Ich kenne auch nicht viele belgische Labels, aber “Drunkabilly Records“ ist auf einem guten Weg sich bei neuer, innovativer Musik auf einen der vorderen Platz zu schieben.
J: Die haben mit Psychobilly angefangen. Wir sind die erste Band auf dem Label die ein bisschen andere Musik macht. Wir sind echt ein Wagnis für das Label.
W: War es für euch schwierig ein Label zu finden?
R: Am Anfang war es schon problematisch. Es ist das Paradoxon. Wenn du eine gute Scheibe veröffentlichst, einen guten Vertrieb hast und dich viele Leute sehen, dann sind sie begeistert, aber du musst erstmal eine Öffentlichkeit schaffen. Wenn du zu einem Label gehst, und sagst, dass du eine tolle Scheibe hast, aber keine Referenzen aufweisen kannst, dann ist es extrem schwer. Die Labels setzen alle auf Nummer Sicher. Das Geld sitzt nicht mehr so locker. Wir haben ein paar Mal die Info bekommen “Hättet Ihr eine Sängerin, und würdet Ihr auf Deutsch singen, hättet Ihr jetzt schon einen Plattenvertrag“. So gesehen ist es toll von Christoph. Es ist ein Experiment. Er hat da gut Kohle rein gesteckt.
J: Und das für einen Privatmenschen der nebenbei noch arbeiten geht, um das alles zu finanzieren. Ich würde mich nicht so weit aus dem Fenster hängen.
W: Seit eurem Bestehen habt Ihr eine Menge Shows gespielt. Wie sind die Konzerte zustande gekommen, wenn man nur mit einer Promo unterwegs ist und kein Label hat?
J: Da wir ja aus der Rockabilly Szene kommen, kennen die uns dort. Da ist es einfach einzusteigen, wenn man die Musik zunächst als Rockabilly verkauft. Einige Veranstalter haben uns nur einmal gebucht, weil unsere Musik eben doch kein klassischer Rockabilly ist und wir auch nicht so aussehen. Viele Veranstalter wollen einfach ihre Rockabilly-Partymusik haben und wenn du das Klischee nicht erfüllen kannst, bist du unten durch. Uns macht das nix. Viele Emo Kids mögen uns, wobei die Frage ist, was ist Emo überhaupt? Die kommen mit ihren hübschen Sternchenohrringen und Piercings und finden uns ganz toll. Psychobillys kommen natürlich auch zu unseren Konzerten.
W: Gab´s da nach Konzerten vom Veranstalter oder vom Publikum Kommentare wie “ Was ist das für eine Band?“ ?
J: Das kam bisher nicht vor.
R: Das hätte uns in den 80ern oder 90ern passieren können, aber heutzutage ist es einfach so dass dich diese Leute ignorieren. Über die privaten Kontakte kann man am Anfang schon eine Menge reißen. Wenn man die alle durch hat, hat man ein paar Konzerte schon gespielt.
J: Wir haben auf der ersten Scheibe den Song “She said to me“ drauf, der ist schon fast Dark Gothic. Es ist ein langsamer Song. Da meinte Radio 1 zu unserem Verlag, dass sie den Song sehr gerne spielen wollen würden, aber wir müssten den Song etwas verändern. Also, sind wir ins Studio, haben noch mal aufgenommen, und haben den Song an Radio 1 geschickt. Plötzlich wollten die den Song doch nicht mehr. Ich denke dass die Leute Musik wie die unsere auch im Radio hören wollen. Viele Leute aus meinem Bekanntenkreis haben mit Musik und Szenen nicht so viel zu tun, finden aber NITRO17 sehr gut. Die sagen mir oft, dass es schade ist, dass wir nicht im Radio gespielt werden. Der Kommerzbrei, der auch bei Radio 1, Radio Fritz oder Motor FM läuft, da haben die Leute keinen Bock mehr drauf. Die Sender haben keinen Mut mehr. Die schauen nur noch, welche Musik bringt uns Hörer, bringt uns Einnahmen und das war´s. Gerade Sender wie Motor FM sind abhängig von der Werbung, das ist echt ein Teufelskreis. Werbung bestimmt das Programm.
W: Ihr habt einen Song mit dem Titel “Berlin“ aufgenommen. Was bedeutet euch die Stadt?
J: Als erstes ist es so, dass wir den Song schon ewig hatten, nur ruhiger. Den haben wir modifiziert und haben uns gedacht, dass wir einen Song schaffen müssen, bei dem, wenn man die Augen schließt, Berlin sieht. Laut, dreckig, schnell, Drogen, Nutten, Disco, alles, so wie Berlin eben ist. Jetzt machen wir zu dem Song noch ein Video. Das lustige ist, dass der mit dem wir den Film drehen, überhaupt keinen Draht zu der Musik hat. Der Typ mag Hip Hop.
Als er den Song das erste Mal gehört hat, ist der Typ voll abgegangen. Der war begeistert.
Was bedeutet mir Berlin. Ich wohne hier nur.
W: Das sagen die Leute die aus den Außenbezirken kommen
R: Ich wohne in einem Außenbezirk. Berlin ist wirklich geil! Ich war oft in London, Amsterdam und Paris, aber wenn etwas in Berlin nicht passiert, passiert es nirgendwo.
Du hast von allem so viel. Du kannst dir aussuchen was du machst und wo du es machst.
Die Stadt strahlt totale Vitalität aus. Es gibt zwar auch eine Menge Müll in der Stadt, aber es gibt auch so viel positiven Input. Manchmal ist es fast ein bisschen viel, aber die Stadt ist trotz allem total lebendig. Es ziehen viele Leute aus anderen Ländern hierher. Berlin ist für mich eine Melange aus totaler Internationalität und Kleinstadt, im positiven Sinne.
J: Das witzige in Berlin ist, dass jeder Bezirk für sich eine Einheit bildet.
R: Das macht es übersichtlich.
J: Du kannst sofort sehen, wenn du in Mitte bist, dass du in Mitte bist. Oder Kreuzberg, egal welcher Bezirk, jeder hat etwas Eigenes. Jeder Bezirk ist ein Dorf.
R: Hier im Friedrichshain im Südkiez, wenn man hier arbeitet oder lebt, man kennt sich einfach. Das ist obskur, in so einer Millionenstadt so was kleinstädtisches zu haben. Berlin hat eine Menge Grün, dass muss man sagen. Du kannst total abfeiern in der Stadt bis Morgens, fährst dann aber ein paar Kilometer, und du hast einen Platz alleine in Ruhe unter´m Baum.
Das bieten wenig Großstädte. Unser Song “Berlin“ hat für mich einen total 80er Jahre Retro-Einschlag. 80er Jahre Sound habe ich schon immer mit Berlin verbunden.
W: Ist das deine stille Sehnsucht an die 80er Jahre?
R: Bestimmt. Die 80er Jahre haben mich geprägt. Der Sound strahlt für mich ein gutes Feeling aus.
W: Was für Ideen habt Ihr, für das Video zu dem Song “Berlin“ ?
J: Wir haben da einige Ideen. Ein Bild z.B. ist auf der Straße des 17.Juni mit Blick auf den Reichstag, da steht dann ein großes rotes Samtsofa. Neben mir auf dem Sofa sitzt ein Rentnerpärchen, mit typisch beschfarbenen Klamotten. Dann sitzt da eine türkische Frau mit Kopftuch neben mir, und ein Punk. Auf der Straße fahren dann Autos zeitversetzt, aber ganz schnell. Ich bin in Echtzeit und singe dort. Bei einigen Parts des Songs wird dann ausgeblendet und man sieht ein total schönes lesbisches Paar die sich befummeln und küssen.
Ich hab die beiden schon gecastet. Das wird der Hammer!! Im Mittelpart des Songs der sehr ruhig ist, ist die Kamera dann total auf die Mädels rauf. Wenn der Song dann wieder Tempo aufnimmt, geht es zum White Trash wo 100 Mitte Leute mit Sonnenbrillen die Arme in die Luft reißen und dazu tanzen. Das ist die Grundidee. Trotzdem soll das Video vom Aufwand recht überschaubar bleiben. Was nützt uns ein teures Video, wenn es keiner spielt. Der Song ist mein persönlicher Hit!
W: Der kommt ja auch als Single raus…
J: Als Online-Single. Ich bin da gerade mit iTunes am verhandeln. Da soll der Song verkauft werden. Dazu machen wir Werbung über MySpace mit einem Link auf YouTube. Eine MySpace Seite wird es davon auch geben. Da ist dann das Video zu sehen.
Viele kennen uns von Live-Konzerten. Diese sind ziemlich psychobillylastig, weil unser Live-Sound auch in die Richtung geht. Im Studio hat man mehr Möglichkeiten einen Song zu bearbeiten, als live.
R: Live hat der Song mehr Wumms.
J: Ein Psychobilly fühlt sich bei uns genauso wohl, wie die 25jährige Mitte-Frau. Das ist unser Vorteil. Wir sind keine Genre-Band.
Wenn ich unsere MySpace-Seite anschaue, dann ist die beste Promo die wir für den Song und das Video machen können, MySpace. Auf MySpace ist die ganze Welt mittlerweile. Es gibt viele Tage wo wir 600-1000 Klicks haben.
W: Manche Bands haben ja nur noch eine MySpace – Seite.
J: Das reicht doch. Mit meiner alten Band, hatten wir eine eigene Homepage. Diese haben wir auch regelmäßig aktualisiert, aber auf MySpace hast du den großen Vorteil dass du als Fan siehst, wer noch Fan, also Freund, der Band ist. Dann schreibst du die Leute an, weil du die kennst oder auf einem Konzert gesehen hast. Dadurch ist bei MySpace super viel Dynamik.
Du klickst dich rein, und bist in der MySpace-Welt.
Eine Bandhomepage ist statisch. Da ist keine Dynamik drauf. Auf MySpace kannst du immer und sofort kommunizieren. Eine MySpace-Seite einrichten kostet nix. Eine normale Homepage musst du programmieren, und das kostet Geld, es sei den du kannst das.
R: Zum Song “Berlin“ noch mal. Es gibt in den USA eine Seite die heißt
www.garagebands.com und da ist “Berlin“ Song der Woche. Das ist so eine Art MySpace. Auf Garagebands hatte unser Song “Berlin“ in einem Monat 17.000 Plays. Das hat der Song “Sexoine“ auf MySpace in einem Vierteljahr geschafft.
Konzerte wird es besonders in 2009 einige geben.
NITRO17 ist sicherlich eine Band die entdeckt werden will, und die anspruchsvoller als viele andere Bands ist. Genau das, macht aber auch ihren Reiz, und ihre Faszination aus!